Deutliche Vorteile elaborierten Feedbacks gegenüber KCR beim
Begriffserwerb in der Studie von Tennyson, Steve & Boutwell (1975)

Die dem gesunden Menschenverstand doch so naheliegende Vermutung, ausführliches, informatives oder erklärendes Feedback sei deutlich lernwirksamer als die einfache Rückmeldung der korrekten Antwort, wird in der empirischen Forschung keineswegs überzeugend belegt und ist auch nicht immer zu erwarten. So deutet etwa eine öfter zitierte Studie darauf hin, informativeres Feedback habe keine lernsteigernde Wirkung, sondern führe letztlich dazu, dass die Lerner nicht mehr lernen, sondern stattdessen deutlich mehr Lernzeit vergeuden. (siehe dazu: Geringere Lerneffizienz durch informativeres Feedback ? ). Eine Reihe inkonsistenter Befunde zur Wirkung elaborierten Feedbacks, von manchen Autoren als "diffuse research on elaboration" gewertet, trägt nicht gerade zu einer Klärung der Problematik bei, sondern wirft eher die Frage auf, warum sich gesunder Menschenverstand und empirische Forschung des öfteren im Clinch miteinander befinden.

Die Studie von Tennyson, Steve & Boutwell (1975, Experiment 2)

Durch Zufall bin ich auf eine Studie aufmerksam geworden, die ganz klare Belege für den Lernvorteil elaborierten Feedbacks gegenüber einfachem Knowledge of correct Result (KCR) erbrachte. Der Artikel war schwerlich gezielt unter dem Schlagwort Feedback zu finden, da dieser Begriff dort gar nicht thematisiert wird. Die experimentelle Vorgehensweise lässt aber auch auf eine Feedbackuntersuchung schließen, welche sehr deutlich den Elaborationsgrad des Feedbacks variierte und die ich bisher wie die Stecknadel im Heuhaufen gesucht habe.

Studenten sollten lernen, aus schematischen Abbildungen ein RX2 Kristall zu identifizieren. Aus mehreren Abbildungen war jeweils zu entscheiden, ob es sich um ein RX2 Kristall handelte oder nicht. Die Beispiele und Nichtbeispiele variierten in der Schwierigkeit und basierten auf einer wohldurchdachten Auswahl. Die Autoren interessierten sich unter anderem auch für die Sequenzierung der Items (z.B. welche Beispiele welchen Gegenbeispielen gegenübergestellt werden sollten), ein Faktor, auf den im folgenden nicht weiter eingegangen wird, obgleich er Lerneffekte zeitigte. Hier gilt die Aufmerksamkeit dem 2. Faktor des zweifaktoriellen Experimentes, nämlich der Variation der Rückmeldungen im Anschluss an die Aufgabenbearbeitung.

In der Trainingsphase wurden insgesamt 20 Kristallabbildungen vorgelegt. Eine Übungsaufgabe bestand aus jeweils 4 Kristallpräsentationen (2 Beispiele und 2 Nichtbeispiele) und der Student musste jeweils identifizieren, ob die Abbildung ein RX2 Kristall repräsentierte oder nicht. Im Anschluß an die Antwort des Studenten gab es 3 Rückmeldevarianten:

Rückmeldevarianten

  1. Knowledge of correct result (KCR)
    alle vier Abbildungen mit den jeweils korrekten Bezeichnungen (RX2 Kristall oder kein RX2 Kristall )

  2. nähere Erklärungen und Begründung
    zusätzlich zu 1 eine analytische Erklärung, welche das Vorhandensein oder das Fehlen der notwendigen Attribute des zu identifizierenden Kristalls explizierte.

  3. Strategisches Vorgehen
    Zusätzlich zu 2 noch das strategische Vorgehen, welches einen detaillierten Lösungsweg zur Identifizierung der notwendigen Attribute aufzeigte und insgesamt folgende 4 Guidelines umfasste:
    a.) listening of possible steps or procedures in a systematic analysis of the concept;
    b.)determining the common properties of the concept which are necessary for correct classification;
    c.) identifying specific characteristics related to the general rule properties;
    d.) maintaining a range of examples not only on irrelevant attributes but also on the analysis steps and common properties.

  4. Ausschnitt aus einem Beispiel: "When identifying crystals from pictures, the first step is to isolate a somewhat symmetric pattern of atoms, from wich a ratio of atoms (e.g. two-to-two) is more discernible. Generally the more symmetric a crystal, the less need there is to break it up to identify. In this example, a symmetric pattern of atoms has been isolated for you, form with the reoccurring two-to-one pattern of the RX2 is easy to discern...."

Wie man unschwer erkennt, steigt die Informationsmenge und der Elaborationsgrad des Feedbacks von Rückmeldevariante 1 bis 3 deutlich an. 139 Studenten wurden nach Zufall auf die Bedingungen zugeteilt, wodurch die Studie experimentelles Niveau erreicht und die Unterschiede zwischen den Feedbackbedingungen im kausalen Sinne interpretierbar sind.

Ergebnisse

Als abhängige Variablen dienten die Identifikationsfehler während des Trainings sowie die Fehler im einem Posttest. Der Posttest umfasste 30 Identifikationsaufgaben (15 Beispiele und 15 Nichtbeispiele), die in der Trainingsphase nicht zum Einsatz kamen, aber aus dem gleichen Itempool stammten, den Begriffserwerb somit inhaltsvalide erfassen und mindestens Transfer auf unterster Stufe messen.
Der Faktor Feedbackbedingung [von den Autoren analytical explanation genannt,] erzielte bei der Analyse der Posttestergebnisse in der Varianzanalyse einen signifikanten Effekt auf dem Promilleniveau. (F ( 2,129) = 28.43, p<.001). Die bei den Autoren auf S.826 angegebenen Fehlermittelwerte sind hier in Tabelle 1 als Prozentsätze der korrekten Lösungen dargestellt.

Tabelle 1: Prozentsatz  korrekter Lösungen im Posttest für die 3 Feedbackgruppen

1.) Knowledge of correct result (KCR) 50 %
2.) 1 + analytische Erklärung und
     Begründung
60 %
3.) 2 + Strategisches Vorgehen 72 %

Wenngleich die Autoren keine systematische Testung aller möglichen Unterschiede zwischen den Feedbackgruppen anstrengten, die Überlegenheit der Feedbackmethode 3 gegenüber 2 jedoch statistisch belegen (p<.01), so deuten alle deskriptiven Daten (insbesondere die Tabelle 3 auf S. 826) auf sehr deutliche Leistungsunterschiede zwischen den 3 Gruppen hin, die man grob betrachtet jeweils in der Größenordnung von etwa einer Effektstärke ansiedeln kann. Somit ist hier in einem praktisch bedeutsamen Ausmaß der Nachweis erbracht worden, dass "mehr Information im Feedback" entsprechend mehr Lerngewinn erbringt und dass es sich durchaus lohnen kann, sehr elaborierte Rückmeldungen zu geben.

Diskussion

Üblicherweise würde man im normalen Unterricht zunächst einmal einen neuen Begriff einführen und näher erklären. Dann böte es sich an, einige Beispiele zu zeigen, die Studenten auf die wichtigen Attribute hinzuweisen und eine Strategie vorzuführen, wie man im einzelnen vorgehen sollte, um einen Begriff zu verifizieren.(siehe z.B.: Principles for Teaching Concept Classification). Nichts dergleichen wird hier jedoch getan, weil sich die Autoren entschieden hatten, ihre Hypothesen gemäß  "an inquisitory form of instance presentation" zu testen.

Die übliche Instruktionsphase fehlt und es werden direkt Fragen gestellt. Unter derartigen Bedingungen wird man meistens sehr massive Lerneffekte durch Feedback finden, weil dann überhaupt nur durch Feedback gelernt werden kann. Dabei hat sich hier deutlich gezeigt, dass die Rückmeldung der korrekten Antwort nicht ausreichte, um ein hinreichendes Verständnis des Begriffs zu erlangen. Im Grunde genommen entspricht die KCR-Feedbackprozedur einer Präsentation von 10 Beispielen und 10 Nichtbeispielen, wobei sich die Instruktion darauf beschränkt, Fragen zu stellen und nach der Beantwortung präsentierte Beispiele und Nichtbeispiele als solche zu kennzeichnen. Beispiele und Nichtbeispiele zu zeigen, ist zweifellos wichtig, genügt aber bei schwierigen und komplexen Begriffen nicht. Die Posttestergebnisse der KCR-Gruppe deuten darauf hin, dass überhaupt nichts gelernt wurde. Denn 50% korrekte Identifikationen können auch durch Zufall erzielt werden. Das erklärende Feedback vermittelt ein besseres Verständnis und das strategische Feedback gibt Methoden an die Hand, wie man in einzelnen vorgehen soll, um an einem Beispiel den Begriff zu erkennen.

Die Ergebnisse bestätigen in jedem Fall, dass elaboriertes Feedback vornehmlich bei geringem Vorwissen und schwierigen Aufgaben eindeutig mehr Lerngewinn versprechen kann als die Rückmeldung der korrekten Antwort. Das gilt bereits für die Lernaneignungsphase. Denn, wie Tennyson, Steve & Boutwell (1975) in ihrem ersten Experiment zeigten, lernten Probanden einen Begriff (ein bestimmtes Versmaß) deutlich besser, wenn ihnen nicht nur Beispiele und Nichtbeispiele gezeigt wurden, sondern die notwendigen Attribute eines Begriffs am Beispiel näher erklärt wurden. Wenn nun - wie im hier geschilderten 2. Experiment von Tennyson, Steve & Boutwell (1975) - eine erklärende Lernaneignungsphase fehlt, können elaborierte Rückmeldungen quasi als Ersatz einspringen und den Lerner anregen, die versäumte Lernaneignungsphase nachzuholen. Man wird einwenden, dass elaborierte Rückmeldungen dann mehr Lernzeit erfordern, potentiell höherer Lernerfolg somit nur mit mehr Lernzeit erkauft werden kann. Das muss aber nicht zwingend so sein. So deuten die Ergebnisse des ersten Experimentes von Tennyson, Steve & Boutwell (1975) darauf hin, dass Beispiele mit Erklärungen eher weniger Lernzeit erforderten als Beispiele ohne Erklärungen. Leider teilen die Autoren keine Lernzeiten zu dem hier näher ausgeführten Experiment mit.

Werden bestimmte Instruktionen nicht bzw. unzureichend zur Kenntnis genommen oder schlecht vermittelt, bleiben vornehmlich bei anspruchsvollen Aufgaben etliche Probleme übrig, die einer elaborierten Klärung bedürfen, weil die korrekte Antwort allein das Verständnis nicht erzwingt. Allerdings dürfte es recht schwierig sein, nach einer gut geplanten Lernaneignungsphase in einer Übung den Vorteil elaborierten Feedbacks noch statistisch nachweisen zu können, obwohl elaboriertes Feedback im Einzelfall recht wirksam sein könnte. Denn, je besser die Lernaneignungsphase, desto weniger Lernpotential bleibt für die nachfolgenden Übungsphasen übrig. Es macht aber durchaus Sinn, schon von Beginn an das Lernen optimal zu fördern und die Instruktion nicht auf das Feedback zu verlagern. So hätte man in Analogie zu den Ergebnissen der Worked- out-example-Forschung durchaus erwarten können, dass der Lernerfolg insgesamt vermutlich noch höher ausgefallen wäre, wenn man zumindest bei einem Teil der Präsentationen auf die Aufgabenstellung verzichtet und direkt die Beispiele mit den Erklärungen präsentiert hätte (siehe dazu: Feedback mit oder ohne eigene Aufgabenbearbeitung ?).

Grant et al. (1982) testeten eine Feedbackprozedur gegen eine sogenannte Prompting-Strategie beim Erlernen von Konzepten.. Bei der Promptingstrategie wird mit der Aufgabenstellung zugleich die Lösung präsentiert. Die Promptingstrategie führte im Vergleich zur Feedbackmethode [Fragestellung, Antwort und dann erst Rückmeldung] zu einem etwas höherem Lernerfog und einer kürzerer Lernaneignungszeit. Zudem konnten die Autoren bestätigen, dass eine über die Mitteilung der korrekten Antwort hinausgehende zusätzliche Erklärung zum Begriff die Lernleistung sowohl bei der Prompting- wie bei der Feedbackstrategie verbesserte. Mithin belegt auch dieses Experiment den Vorteil elaborierten Feedbacks gegenüber einfachem Knowlegde of correct result und trägt somit zur Versöhnung zwischen empirischer Forschung und gesundem Menschenverstand bei.



Literatur
Tennyson, R.D., Steve, M.W. & Boutwell, R.C. (1975). Instance Sequence and Analysis of Instance Attribute Representation in Concept Acquisition. Journal of Educational Psychology, Vol 67, No. 6, 821-827.

Grant, L., McAvoy, R.; Keenan, J. B. (1982). Prompting and Feedback Variable in Concept Programming. Teaching of Psychology, Oct82, Vol. 9 Issue 3, p173, 5p


Wann sind elaborierte Rückmeldungen einfachem KCR überlegen ?
created 3.5. 2002; last update 6.2.2003; Bernhard Jacobs, b.jacobs@mx.uni-saarland.de