B. Jacobs (Januar 2015) Bildungswissenschaften der Universität des Saarlandes

Zusammenhang zwischen Alertness und den Reihenfolgetests
ZRF_20_5 und BRF_20_5

Einleitung und Zielsetzung

Konzentration erfordert Aufmerksamkeit, aber zusätzlich noch die Verarbeitung von Information und eine zügige zielgerechte Reaktion auf das wahrgenommene Reizmaterial. Ein Konzentrationstest muss folglich mehr als Aufmerksamkeit erfassen. In diesem Zusammenhang sollte überprüft werden, wie eng die von Jacobs konstruierten Konzentrationstests, möglichst schnell und genau ungeordnete Zahlen oder Buchstaben entsprechend einer festgelegten Reihenfolge anzuordnen, mit den Reaktionszeiten in einem Aufmerksamkeitstest zusammenhängen, die lediglich erfassen, wie schnell die Person das Erscheinen eines einfachen Reiz zur Kenntnis nimmt. Erwartet wurden schwach positive Korrelationen von höchstens mäßigem Ausmaß.

Erfassung der Alertness bzw. Reaktionszeiten auf einen einfachen Reiz

Die Konstruktion der Aufgaben zur Reaktionszeitmessung orientiert sich an einer Beschreibung des Untertests Alertness der Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP) von Zimmermann & Fimm (2007), nimmt aber etliche Modifikationen vor. Die Testperson sieht auf dem Bildschirm ein Rechteck. Sie wird aufgefordert, sobald wie möglich auf die Maustaste zu klicken, wenn in dem Rechteck ein Kreuz erscheint. Als Reaktionsgeschwindigkeit bzw. Reaktionszeit wird hierbei die Zeitdifferenz zwischen dem Erscheinen des Kreuzes und dem Mausklick in msec erfasst. Ein Fehler liegt vor, wenn die Testperson auf die Maus klickt, obwohl das Kreuz noch gar nicht sichtbar war. Durch den Mausklick bringt die Testperson das Kreuz zum Verschwinden und soll sich sodann auf das Erscheinen des nächsten Kreuzes vorbereiten. Die Zeitspanne bis zum erneuten Auftauchen des Kreuzes wird stets nach Zufall in einem Bereich von 0,7 bis 3,5 sec festgelegt. Das Kreuz selbst kann hierbei an unterschiedlichen, stets nach Zufall festgelegten Positionen innerhalb eines Zielrechtecks auftauchen.

Abbildung 1: Beispielitem für die Reaktionszeitmessung

Der Reaktionszeittest umfasst insgesamt 50 Reizvorgaben. Bei 25 Reizvorgaben ertönt vor dem Erscheinen des Kreuzes ein Signalton. Vor der Testung wurde die Testperson darauf aufmerksam gemacht, nicht direkt auf den Signalton, sondern erst beim Erscheinen des Kreuzes zu reagieren, wobei der Zeitabstand zwischen Signaltonbeginn und Kreuz nach Zufall in einem Bereich von 0,2 bis 0,7 Sekunden variiert.  Schließlich wird noch nach Zufall festgelegt, an welcher Position des Testablaufs ein Kreuz mit oder ohne vorherigen Signalton dargeboten wird, um so Reihenfolgeeffekte auszubalancieren.

Bevor der eigentliche Test begann, erhielt die Testperson nähere Erklärungen und bearbeitete eine Demoversion anhand von 6 Durchgängen.

Probanden und Ergebnisse

Studierende (Alter: Median 23; ca. 60% Frauen) aus Lehrveranstaltungen des Verfassers im WS 14/15 wurden via Email dazu aufgefordert, den Test im Internet von zu Hause aus durchzuführen. Von diesen Studierenden lagen bereits weitere Daten aus früheren Erhebungen im selben Semester vor.

Zunächst wurden alle Reaktionszeiten auf unplausible Ausreißer kontrolliert. Zeiten unter 100 sowie über 1000 msec wurden nicht zur Berechnung des individuellen Testwerts gewertet. Während bei den meisten Personen keine und bei vielen sehr wenige solcher Itemsausreißer vorkamen, mussten die Daten von insgesamt 6 Probanden aus dem Datensatz genommen werden, weil deren durchschnittliche Reaktionszeiten viel zu hoch ausfielen und sich als eindeutige Ausreißer erwiesen.

Tabelle 1 stellt die deskriptiven Ergebnissen etlicher Alertnessvariablen dar. Reaktionszeiten mit Signalton sollen das phasische, Reaktionszeiten ohne Signalton das tonische Arousal messen. Als entscheidendes Maß für die Alertness wird jedoch die durchschnittliche Reaktionszeit (RZ insgesamt) über alle 50 Items angesehen. Wie aus Abbildung 2 hervorgeht, folgt die Häufigkeitsverteilung der Reaktionszeit,   augenscheinlich betrachtet, annähernd einer Normalverteilung.

Abbildung 2: Häufigkeitsverteilung der Alertness in Millisekunden

Insgesamt wurden zu wenige Fehler gemacht, um den Fehler zuverlässig erfassen zu können. Es gibt auch keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Fehler und allen Reaktionszeiten, aber positive Korrelationen zwischen Fehleranzahl und der Reaktionszeitstreuung, was hier aber nicht weiterverfolgt wird.

Tabelle 1: Deskriptive Ergebnisse zu den Alertness-reaktionszeiten (N=60)

                    Rel     M      s     Md   Schiefe  Kurtosis
RZ mit Signalton   .89     336    49    329     .44     -.38
RZ ohne Signalton  .79     369    44    367     .32      .17
RZ insgesamt       .90     352    44    347     .44     -.37

RZ_streuung                 65    22     61    1.17     1.84
Fehler insgesamt             1.5   2.9    1    4.57    26.76        
Reliabilität nach Split-half-Methode, alpha liefert hoch vergleichbare Werte.

Reaktionszeiten mit vorausgehendem Signalton fallen erwartungsgemäß signifikant kürzer aus als Reaktionszeiten ohne Signalton (t(59)=8,9 pz<.001). Abbildung 3 stellt die Itemmittelwerte für beide Testbedingungen jeweils in der Abfolge dar, wie sie im Verlauf der Testung dargeboten wurden. Wie aus Abbildung 3 hervorgeht, wurden im Verlauf der Testung bei der Alertness mit Signalton Übungsgewinne erzielt. Es gelingt offenbar zunehmend besser, den Signalton als Orientierungsreiz für eine schnellere Reaktionszeit zu nutzen.

Abbildung 3: Reaktionszeiten (Alertness) im Verlauf der Testung

Männer erzielten signifikant schnellere Reaktionszeiten als Frauen (t (57) =2.94, pz= 0.005). Es ließen sich aber keinerlei signifikante Korrelationen zwischen allen Alertness-Reaktionzeiten und den Big-Five aus dem NEO-FFI (Borkenau & Ostendorf, F. (2008) und auch keine Zusammenhänge mit etlichen subjektiven Einschätzungsmaßen der eigenen Konzentrationsfähigkeit feststellen. Wie schnell jemand auf einfache visuelle Reize reagiert, sagt demnach weder etwas über seine Persönlichkeit, noch über die Bewertung seiner eigenen Konzentrationsfähigkeit aus.  

Messen die Reihenfolgetests Reaktionsgeschwindigkeit ?

Von besonderem Interesse waren die Zusammenhänge der Reaktionszeiten mit den Reihenfolgetests. Da die Reihenfolgetests zweifellos hohe Aufmerksamkeit verlangen, waren zumindest schwache positive Zusammenhänge mit einfachen Reaktionsgeschwindigkeitsaufgaben erwartet worden. Allerdings sollte sich das Ausmaß der Korrelationen in Grenzen halten, da die Reihenfolgetests zusätzlich aufwändige Such- und Vergleichsprozesse erfordern, die deutlich über schnelles Reagieren auf einfache Reize hinausgehen. Denn es kommt nicht darauf an, schnell irgendeinen Reiz zu entdecken, sondern aus einem Gesamtbild vieler Reize jeweils den richtigen zu antizipieren und anschließend auch zu finden.

Tabelle 2: Korrelationen der Alertness-Reaktionszeiten mit mehreren Reihenfolgetests und SART_v    (N=50-59)    

            
            RZ         Signalton
            insgesamt  ja   nein   N
                
ZRF_20_5*      .20    .24   .13    59
ZRF_20_5       .14    .17   .09    55  
BRF_20_5       .01    .05  -.03    55
RZRF_20_5      .20    .20   .20    55
SART_v_Zeit    .43    .45   .36    50
SART_v_Fehler -.05   -.03  -.07    50  

Anmerkung: *=Erhebungszeitpunkt ca. 2. Monate vor Erhebung der Alertness  Der Erhebungszeitpunkt aller anderen Tests ca. 4 Wochen vor Erhebung der Alertness.
Fettgedruckte Koeffizienten sind signifikant.

Wie Tabelle 2 verdeutlicht, liegen alle Korrelationen zwischen den Reaktionszeiten der Alertness und den Konzentrationstests ZRF_20_5 sowie RZRF_20_5 (=Zahlenreihenfolge abwärts beginnend bei 20) in der erwarteten Richtung eines schwachen Zusammenhangs, überspringen jedoch in keinem Fall die Signifikanzhürde. Der Buchstabenreihenfolgetest BRF_20_5 ist praktisch unabhängig von der Reaktionsgeschwindigkeit, da alle Korrelationen in unmittelbarer Nähe von 0 liegen.

Einen zuverlässigen und auch gut verstehbaren Zusammenhang der Reaktionsgeschwindigkeit findet man nur mit den Zeiten einer SART_Variante (hier als SART_v bezeichnet = eine Variante der Sustained Attention to Response Task von Robertson et al. (1997) ;siehe genaueres Jacobs 2015). Denn im SART wird die Testperson aufgefordert, so schnell wie möglich auf die Maus zu klicken, wenn eine Zahl zwischen 1 und 9 mit Ausnahme der 3 erscheint. Da nur Zahlen zwischen 1 und 9 auftauchen, besteht die Aufgabe der Testperson darin, bei allen Zahlen außer 3 möglichst schnell zu reagieren, aber den Mausklick bei der Zahl 3 zu unterlassen. Während der SART_v_fehler vornehmlich Vigilance messen soll, weil er sich auf seltene Ereignisse bezieht,  erfasst die SART_v_Zeit hier die durchschnittliche Reaktionszeit, welche die Testperson benötigt, um möglichst schnell auf eine der zulässigen 8 Zahlen zu klicken. Da die zulässigen Zahlen in 8/9 der Fälle dargeboten wurden, erfasst die SART_v_Zeit eher Daueraufmerksamkeit. Und weil diese Aufgabe nach der Aufmerksamkeitsfokussierung des Reizes auf dem Bildschirm einen eher trivialen Vergleich erfordert ("Ist die Zahl keine 3?") geht ein höherer Anteil der Gesamtleistung auf die Alertness zurück. Somit verwundert es weniger, dass die SART_v_zeit mit den Alertnessreaktionszeiten auch substanziell korreliert. Wie aus der Studie von Jacobs (2015) hervorgeht, steht die SART_v_Zeit zugleich aber auch in signifikant positiven  Zusammenhang mit allen Reihenfolgetests, höchstwahrscheinlich deshalb, weil die SART_v_zeit eben nicht nur Aufmerksamkeit im Sinne einer absolut trivialen Reaktionszeitmessung erfasst. Es wird zumindest eine Überprüfung verlangt, ob der dargebotene Reiz angeklickt werden darf und damit im Ansatz eine rudimentäre Konzentrationsleistung gefordert.

Jacobs (2014) äußerte die Vermutung, die Zeit zum Finden der ersten Zahl im ZRF_20 könne möglicherweise auch als ein Maß für die Reaktionsgeschwindigkeit dienen, weil unmittelbar zuvor schlagartig alle Zahlen auf dem Bildschirm erscheinen und dieses Ereignis besondere Aufmerksamkeit erfordert, um dann möglichst schnell als erste Zahl die 1 anzuklicken. Entsprechende Daten standen allerdings nur für den ZRF_20_5 zur Verfügung. Aus den 5 Durchgängen des ZRF_20_5 wurde der Durchschnitt zum Finden der 1 gebildet (a=.70). In der Tat korreliert die Zeit zum Finden der Zahl 1 signifikant sowohl mit der Alertness RZ insgesamt (r=.35; pz=.009) wie mit der SART_v_zeit (r= .32; pz= .011). Allerdings bestätigten sich diese Ergebnisse nicht, wenn analog der 1 im ZRF_20_5 der Buchstabe A im BRF_20_5 zu entdecken war (a=.61). Es ist aber auch nachweislich deutlich schwerer, den Buchstaben A aus einer zufälligen Anordnung der ersten 20 Buchstaben des Alphabets zu finden, als die Zahl 1 unter den ersten 20 Zahlen (t(76)=7,96; p<.001; Effektstärke d=.93), womit das Finden des Buchstabens A im BRF_20_5 sicher keine Reaktion auf einen direkt heraus stechenden Reiz darstellt.

Zusammenfassung

Die Studie hat insgesamt bestätigt, die Reaktionsgeschwindigkeit im Sinne der Alertness habe für die Leistung in den Reihenfolgetests eine untergeordnete bis gar keine Bedeutung. Ein gewisses Ausmaß an Aufmerksamkeit ist zwar für jedes konzentrierte Verhalten absolut notwendig, aber eben nicht hinreichend. Ein hoher Testerfolg im ZRF und BRF wird im Wesentlichen bewirkt durch eine zügige, präzise kontrollierte Koordination in Form geeigneter Orientierungs - und Vergleichsprozesse. Solche Leistungen erzielt man hauptsächlich durch eine schnelle und genaue kognitive Verarbeitung visueller Information.

Literatur:

Borkenau, P. & Ostendorf, F. (2008). NEO-FFI - NEO-Fünf-Faktoren-Inventar nach Costa und McCrae. Handanweisung. Göttingen: Hogrefe.

Jacobs, B. (2014). Konzentrationstests durch Ordnen der zufällig angeordneten ersten 20 Zahlen oder Buchstaben
http://bildungswissenschaften.uni-saarland.de/personal/jacobs/diagnostik/tests/konzentration/zrf_und_brf/zrf_und_brf.html
http://bildungswissenschaften.uni-saarland.de/personal/jacobs/diagnostik/tests/konzentration/zrf_und_brf/zrf_und_brf.pdf

Jacobs (2015, in Vorbereitung). Unkonzentriert trotz hoher Konzentrationsfähigkeit.

Zimmermann, P. & Fimm, B. (2007). TAP Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (Version 2.1) Herzogenrath: Psytest. zitiert nach  Reinhart, S. (2009). Seminar: Intelligenz- und Leistungsdiagnostik Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP)http://www.uni-saarland.de/uploads/media/Testbatterie_zur_Aufmerksamkeitspr%C3%BCfung_TAP.pdf

Robertson, I. H., Manly, T., Andrade, J., Baddeley, B. T., & Yiend, J. (1997). Oops: performance correlates of everyday attentional failures in traumatic brain injured and normal subjects. Neuropsychologia, 35(6), 747-758.


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