B. Jacobs, Bildungswissenschaften der Universität des Saarlandes
Version vom 10.1.2014

Beeinträchtigt Lärm die Leistung in einem Konzentrationstest?

Abstract

Ausgehend von der Hypothese, starker Lärm reduziere die Konzentrationsleistung, wurden Studierende im Rahmen eines Onlineexperimentes dazu veranlasst, denselben Konzentrationstest einmal unter lautem Bohrergeräusch wie auch unter normalen Testbedingungen zu beantworten. Im Mittel erzielten die Probanden hoch vergleichbare Konzentrationsleistungen unter beiden Testbedingungen. Zudem ergab sich ein signifikanter Reihenfolgeeffekt. Als Endrésumé lässt sich festhalten, dass Lärm bei der Bearbeitung eines kurzen Konzentrationstests zwar stört, die  Konzentrationsleistungen aber nicht beeinflusst.

Zielsetzung der Arbeit

Ziel der Studie war es, die naheliegende Hypothese zu prüfen, Lärm beeinträchtige die Konzentrationsleistung negativ. "Aus der alltäglichen Erfahrung weiß jeder, dass Geräusche das konzentrierte Arbeiten mehr oder weniger stark stören" (Westhoff & Hagemeister 2005, S. 22). So gesehen, erscheint die Fragestellung trivial. Aber langjährige empirische Forschung führte beim Verfasser dieser Studie nicht selten zu der Erkenntnis, es sei gar nicht so einfach, Triviales nachzuweisen. Nicht zuletzt die eigenen Erfahrungen der letzten 3 Monate mit massivem Baulärm an seinem Arbeitsplatz haben diesen dazu inspiriert, den allzu oft erlebten Krach eines Schlagbohrhammers als willkommene Geräuschquelle zu nutzen. Der Dozent (Verfasser) forderte Studierende aus seinen 3 Seminaren des WS 13/14 dazu auf, in der Zeit vom 2.1 bis 6.1. 2014 an einem Onlineexperiment teilzunehmen, das den Einsatz eines Konzentrationstests einmal unter Normalbedingung (Ruhe) und einmal unter Audiobeschallung von unangenehmen Bohrlärm vorsah.

Audioeinstellungen

Voraussetzung für die Teilnahme am Experiment war ein Computer mit Nutzung eines Audiosystems (Lautsprecher oder Kopfhörer). Da es programmiertechnisch nicht möglich erschien, eine für alle Probanden objektiv konstante Lautstärke der Lärmquelle zu generieren, sollte diese vor dem eigentlichen Versuch zunächst vom Probanden selbst eingestellt werden. Er wurde nach Anklicken auf die Datei der Lärmquelle dazu aufgefordert, das Bohrergeräusch mit Hilfe des Lautstärkereglers wie folgt einzustellen:

"Stellen Sie Ihr Audiogerät auf die höchst mögliche Lautstärke ein. Die höchst mögliche Lautstärke sollte jedoch unter der Schmerzgrenze liegen und für Sie gerade noch erträglich sein."

Nach Bestätigung seiner Audioeinstellung verschwand das Geräusch und der Proband wurde lediglich wie folgt informiert:" Im Verlauf der Untersuchung können Geräusche auftreten. Wie immer deren Lautstärke auch ausfallen mag, ändern Sie die Einstellungen nicht mehr bis die Untersuchung vollständig beendet ist!" 

Versuchsplan und Hypothesen

Die Probanden wurden zunächst nach Zufall auf die Gruppen A und B zugeteilt. Gruppe A bearbeitete den Konzentrationstest zunächst unter Bohrlärm und dann in Ruhe, während Gruppe B den Test zunächst ungestört und danach erst mit Bohrlärm absolvierte. Zwischen den experimentellen Bedingungen gab es keine Pufferaufgabe oder größere Pause. Die Testperson hatte aber Zeit, ihr jeweiliges Testergebnis des vorangegangenen Tests beliebig lange zu inspizieren. Der Versuchsplan umfasst somit zum Zeitpunkt 1 ein klassisches Randomisierungsexperiment mit unabhängigen Stichproben und durch die Bedingungsvariation innerhalb jeder Gruppe zusätzlich ein Wiederholungsexperiment mit Ausbalancierung der Treatmentreihenfolge.

Abbildung 1 verdeutlicht die theoretischen Erwartungen vor Beginn der Untersuchung.

Abbildung 1: Idealtypische Erwartungen an die Ergebnisse

  1. Zu jedem Messzeitpunkt sollte diejenige Gruppe bessere Konzentrationsleistungen aufweisen, welche den Test ohne Bohrlärm bearbeitet. [= Hypothese 1 und 2]

  2. Innerhalb jeder Gruppe sollten die Leistungen unter Bohrlärm schlechter ausfallen als unter der Normalbedingung. [=Hypothese 3 und 4]

  3. Im Mittel sollten zum Messzeitpunkt 2 etwas höhere Konzentrationsleistungen erzielt werden, weil der Test zu Zeitpunkt 1 bereits eingeübt wurde und Konzentrationstests in der Regel Übungseffekte nach sich ziehen. [=Hypothese 5]

Der eingesetzte Konzentrationstest  RVT_c

Der Konzentrationstest RVT_c basiert auf einer Idee des Revisionstests Form A von Marschner 1972, die Korrektheit einfacher Additionsaufgaben zu prüfen. Die Reizdarbietungen am Computer unterscheiden sich vom Original aber in mehrfacher Hinsicht. Es werden Additionsaufgaben einstelliger Summanden mit möglichen korrekten Ergebnissen zwischen 2 und 10 vorgelegt. Das Ergebnis der Addition kann korrekt  ausfallen (=Zielitem) oder um 1 unterhalb bzw. oberhalb des korrekten Ergebnisses liegen (=Distraktorenitem). Die Testperson muss insgesamt 144 Items bearbeiten, die in 2 Durchgängen auf dem Computer dargeboten werden.

Abbildung 2: Ausschnitt eines möglichen Testdurchgangs des RVT_c

 

Wie aus Abbildung 2 hervorgeht, werden in einem Durchgang 72 Additionsaufgaben auf dem Bildschirm präsentiert. 24 dieser 72 Aufgaben enthalten das korrekte Additionsergebnis. Die Testperson sollte die Aufgaben mit zutreffender Summe so schnell wie möglich, aber dennoch korrekt mit linker Maustaste anklicken und nach Bearbeitung aller Items sofort auf den Button "bestätigen!" klicken. Danach folgt unmittelbar der zweite Durchgang, der in gleicher Weise zu bearbeiten ist. Da die Aufgaben auf Buttons gelegt sind, bemerkt die  Testperson das Anklicken der Aufgabe, erhält darüber hinaus aber keinerlei Markierung Ihrer Antwort. Am Ende bekommt die Testperson eine Übersicht ihrer Ergebnisse (z.B. Prozentsatz korrekter Lösungen, Bearbeitungszeit).

Zufallsprozesse sorgen bei jedem Testdurchgang dafür, dass in der Hälfte der Fälle das falsche Ergebnis um 1 höher oder niedriger ausfällt. Zudem bestimmen sie die Zahlenwerte der Summanden sowie die Positionen der Zielitems. Insofern vermittelt Abbildung 1 eine unter vielen möglichen Testdurchgängen. 

Als relevantes Konzentrationsmaß gilt die

Konzentrationsleistung =  (Anzahl korrekt angeklickter Items - Anzahl falsch angeklickter Items)  / Bearbeitungszeit

Der Testwert erfasst die durchschnittliche Anzahl der Fehler adjustierten korrekten Angaben pro Sekunde. Als alternatives Konzentrationsmaß hätte sich die Bearbeitungsgeschwindigkeit angeboten, die insgesamt sehr hoch mit der Konzentrationsleistung korreliert (Zeitpunkt 1 -.93 bzw. Zeitpunkt 2 -.81). Da insgesamt bis auf einige Ausnahmen sehr wenige Fehler gemacht wurden [Auslassungsfehler 3%, Falschangaben 0,5%], misst die Konzentrationsleistung im Wesentlichen die Bearbeitungsgeschwindigkeit, hat aber gegenüber dieser den Vorteil, dass alle Ausreißer verschwanden und die Daten zum ersten Messzeitpunkt in idealer Weise einer Normalverteilung folgten.

Ergebnisse zum Konzentrationstest

Nachfolgende deskriptive Ergebnisse basieren auf Testungen zu den beiden Zeitpunkten und ignorieren dabei zunächst, dass zu jedem Zeitpunkt die Hälfte der Studierenden dem Bohrlärm ausgesetzt war. Da solch ein Vorgehen gegen die Durchführungsobjektivität verstößt, wird in kritischen Fällen geprüft, ob sich die Kennwerte differenziert nach jeweiliger Bedingung deutlich unterscheiden.

Abbildung 3 zeigt die absolute Häufigkeitsverteilung der Konzentrationsleistung bei der ersten Testung, die in idealtypischer Weise einer Normalverteilung folgt. Das Bild bei der zweiten Testung sieht halbwegs ähnlich, wenngleich nicht ganz so schön aus.

Abbildung 3: Häufigkeitsverteilung des RVT_c

Der Mittelwert .33 besagt, dass die Probanden im Durchschnitt 0.33 richtige Antworten in der Sekunde abgaben bzw. 1/0.33=3 Sekunden benötigten, um eine korrekte Addition zu finden oder ca. 20 korrekte Angaben pro Minute realisierten.

Konsistenzanalysen ergaben für die erste Messung ein a = .95 und für die zweite Messung ein a = .91 (N 60-61). Die experimentellen Bedingungen wirken sich nicht sonderlich auf die Reliabilität aus, denn eine differenzierte Analyse getrennt für jede experimentelle Bedingung (mal 2 Testzeitpunkte) erbrachte 4 Alphakoeffizienzen, die zwischen .86 bis .96 schwanken. Die Korrelation der Tests zu beiden Zeitpunkten beträgt  r= .92 und könnte als Parallelretestkorrelation mit ultrakurzem Zeitinterval von ca. einer Minute interpretiert werden. Als fundierter Validitätshinweis des RVT_c dienen sehr ansprechende Korrelationen mit dem GU und ZRF_20 von Jacobs (2013), sowie einer modifizierten Computerfassung des d2 (Brickenkamp et al. 2010). Die 3 Validitätskoeffizienten des RVT_c liegen in einem Bereich von r = .52 bis r=.67.

Ergebnisse des Versuchs

Die wichtigsten Ergebnisse des Versuchs sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Tabelle 1: Mittelwerte und Streuungen der Konzentrationsleistungen
unter Bohrlärm und Normalbedingung

  Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2   t(29) p d
Gruppe A 0,3334 0,3120   4.33 0.001 -0.39
  0.0581 0,0504        
             
Gruppe B 0,3223 0,2987   -4,98 0.001 0.33
  0,0716 0,0715        
             
unabhängig t(59)=0.83 t(58)=0.83        
  ns ns        

Hypothese 1 und 2 zufolge, sollte diejenige Gruppe der anderen Gruppe jeweils überlegen sein, welche den Test in Ruhe bearbeitet. Aber weder zum Zeitpunkt 1 noch zum Zeitpunkt 2 ergab der t-Test für unabhängige Stichproben ein signifikantes Ergebnis. Eine Hypothesenprüfung auf der Basis des ausbalancierten Wiederholungsdesigns erwartet, dass insgesamt unter der Bedingung "Bohrlärm" schwächere Konzentrationsleistungen zu erwarten wären als ohne Bohrerlärm. Deshalb wurde unabhängig vom Testzeitpunkt mittels t-Test für abhängige Stichproben geprüft, ob die Probanden insgesamt unter lärmfreier Testsituation besser abschnitten als unter Lärm. Dies ist nicht der Fall, da die beiden  Mittelwerte fast identisch ausfallen (t(59)=-0,593, pz=0.555, ns).

Vergleicht man die Veränderungen jeder Gruppe einzeln, dann findet man jeweils hoch signifikante Ergebnisse im niedrigen Effektstärkebereich. Hierbei liefert jedoch nur Gruppe B hypothesenkonform signifikant schwächere Konzentrationsleistungen unter Bohrlärm. Bei Gruppe A ist es Hypothesen diskordant genau umgekehrt. Abbildung 4 veranschaulicht die unterschiedlichen Ergebnisse der beiden Gruppen in Form einer disordinalen Wechselwirkung, was allerdings eine Variablenumstellung in der Grafik erforderte.

Abbildung 4: Interaktion zwischen Treatment und Reihenfolge (bzw. Gruppe)

Hiernach sieht es so aus, dass die Wirkung des Bohrerlärms davon abhängt, an welcher Position er eingesetzt. Bohrlärm zu Beginn verbessert die Konzentration im direkten Vergleich mit der eigenen Normalbedingung. Folgt auf ein Konzentrationstest in ruhiger Umgebung ein Test unter Bohrlärm, dann sinkt die Konzentrationsleistung.

Hypothese 5 muss verworfen werden, denn genau das Gegenteil der Erwartung trat ein. Unter Zeitpunkt 2 nahmen die Konzentrationsleistungen gegenüber der ersten Testung nicht zu, sondern signifikant ab. (t(59)=-6,6 pz<=0.001, d= -.35).

Abbildungen 5 a und b konfrontieren die theoretischen Erwartungen mit den empirischen Ergebnissen

Abbildung 5: Vergleich zwischen theoretischer Erwartung und Ergebnis

a) theoretische Erwartungen b)  empirisches Ergebnis

Ein Vergleich der Abbildungen a und b zeigt anschaulich auf, dass bis auf die erwartungskonforme Entwicklung der Gruppe B von der Ruhe zur Bohrerlärmbedingung keine der 4 verbliebenen Hypothesen bestätigt werden konnte und in manchen Fällen das genaue Gegenteil eintrat.

Befragung

Im Anschluss an den Versuch folgte eine sehr kurze Befragung, welche nähere Auskunft über die erlebte Lärmbelastung liefern sollte.

Abbildung 6: Kurzbefragung der Studierenden

  Bitte klicken Sie an, wie sehr die Aussage für Sie zutrifft
Stimmt
über-
haupt 
nicht
Stimmt
über-
wiegend
nicht
Stimmt
eher
nicht
Stimmt
eher
Stimmt
über-
wiegend
stimmt
ganz
genau

M
s

1. Die Testbearbeitung mit Bohrhammergeräusch hat mich ziemlich genervt.
4,6
1,4
2. Meine Konzentration wurde durch den Lärm des Bohrers deutlich beeinträchtigt.
3.7
1.4
3. Es ist wesentlich anstrengender, den Test unter der Lärmbedingung zu bearbeiten.
4.7
1.3

Bitte schätzen Sie abschließend ein, wie sehr der Lärm sie insgesamt gestört hat. Ich empfand den Lärm während einer Testung ...

0 =
unerheblich

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10
10=
unerträglich

Zur Messung der Lärmbeeinträchtigung wurde der Durchschnitt aus den Fragen 1 bis 3 ermittelt. Die interne Konsistenz der Lärmbeeinträchtigung erreichte ein a = .87. Als weiteres subjektives Belastungsmaß diente das Lärmthermometer (0 bis 10:  M=6,2: s=2,2), das mit der Lernbeeinträchtigung r = .77 korreliert. Wie erwartet, gab es bei beiden subjektiven Belastungsmaßen auch keine Unterschiede zwischen Gruppe A und B.  Zwar liegen alle Itemmittelwerte über dem Mittelwert der jeweiligen Skala, in Anbetracht fehlender Normen bleibt die Belastungshöhe letztlich aber schwer einzuordnen, wenngleich kein Zweifel daran besteht, dass das Bohrergeräusch im Mittelwert richtig genervt hat und mehr Anstrengung abverlangte. Bei Frage 2 war die Testperson nicht allein auf ihre rein subjektive Einschätzung angewiesen, weil sie ja stets Rückmeldung über ihr objektives Ergebnis erhielt. Die Konzentrationsleistung unter Bohrerbedingung steht in schwachem signifikanten Zusammenhang mit der Lärmbeeinträchtigung (r=-.26, N=60, pe=0.023) und dem Lärmthermometer (r=-.22, N=59, pe=0.045) und liefert so ein ganz schwaches empirisches Argument für die These, für die Konzentrationsleistung spiele auch die subjektive Interpretation des Lärms eine gewisse Rolle.

Zusammenfassung und Diskussion

Auch wenn alle Probanden vermutlich nicht exakt die gleiche objektive Lautstärke der Lärmquelle eingestellt hatten, beeinträchtigt dies die Aussagekraft der Untersuchung nur marginal, weil die Randomisierung dafür gesorgt haben müsste, dass die Lärmbedingungen für beide Gruppen zumindest vergleichbar waren. Da die Probanden zudem im Mittelwert subjektiv die Lärmbelastung bestätigten, erscheint die Treatmentfidelität  in dem Sinne gewährleistet worden zu sein, als Lärmbedingungen vorlagen, die man im allgemeinen als ziemlich störend empfindet und nach Möglichkeit ausschalten würde.

Sowohl die Analyse auf der Grundlage des Randomisierungsexperimentes wie auch Auswertung des Wiederholungsdesigns führten übereinstimmend zu dem eindeutigen Ergebnis, dass der Lärm im Mittel keine Auswirkung auf die Konzentrationsleistung ausübte.

Darüber hinaus zeigte sich ein gegenteiliger Effekt innerhalb jeder Gruppe  dergestalt, dass das Bohrergeräusch zu Beginn eine für die Konzentration günstigere Wirkung erzielte, das Lärmgeräusch am Ende jedoch schwächere Konzentrationsleistungen nach sich zog. Ein derartiger Interaktionseffekt war überhaupt nicht erwartet worden und bevor rein spekulative Erklärungen dafür in Erwägung gezogen werden, soll ein anderer unerwarteter Befund (zu Hypothese 5) erläutert werden, der auch dazu eine mögliche Erklärung beisteuern könnte.

Normalerweise führt die Wiederholung eines Konzentrationstests zu Übungsgewinnen, die durchaus im mittleren Effektstärkebereich zu erwarten sind und die auch der Verfasser in einer bisher unveröffentlichten Studie beim GU und einer eigenen Computervariante des d2 in ähnlicher Größenordnung schon eindeutig nachweisen konnte. Da beim neu entwickelten REV_c aber noch keinerlei Daten zu Wiederholungseffekten vorliegen, bleibt zunächst einmal unklar, wie groß dieser Effekt dort tatsächlich ausfällt. Üblicherweise liegen zwischen Testwiederholungen auch größere Zeitabstände als ca. eine Minute. Man könnte somit die zweimalige Testung auch als eine einzige, etwas umfangreichere Testung des REV_c betrachten. Unter solchen Bedingungen ist es aber schon schwieriger, deutliche Verbesserungen im Zeitverlauf zu finden. Die erste Testung dauerte im Durchschnitt etwas weniger als 2,5 Minuten, was eventuell zu wenig Training ist, um im direkten Anschluss daran deutliche Übungsgewinne einzufahren. Im ungünstigsten Falle hätte man aber mindestens vergleichbare Konzentrationsleistungen zu beiden Testzeitpunkten vermuten müssen und keinesfalls signifikante Leistungseinbußen von der ersten zur zweiten Messung, wie sie hier in beiden Gruppen gefunden wurden. Möglicherweise geht der Leistungsabfall von Messzeitpunkt 1 zu 2 auf eine abfallende Testmotivation der Studierenden zurück. Diese mussten zur Kenntnis nehmen, dass nach der ersten Testung direkt eine erneute Testung mit gleichen Anforderungen anstand, was etliche Testpersonen möglicherweise langweilte und insgesamt die Bereitschaft minderte, sich weiterhin optimal anzustrengen. Sollte diese Vermutung zutreffen, so würde sie eine Erklärung der komplizierten Wechselwirkung überflüssig machen und  ganz einfach, wie aus Abbildung 5b hervorgeht, als Haupteffekt des Messzeitpunkts interpretiert werden. Eine verbesserte Versuchsanordnung sähe vor, die Abstände zwischen beiden Messungen zu vergrößern und grundsätzlich leistungsabhängige Anreizbedingungen einzuführen, um potenziell mangelnder Motivation vorzubeugen. Sollte sich auch dann noch die hier gefundene Wechselwirkung bestätigen, würde es sich lohnen, nach näheren Erklärungen dafür zu suchen.

Das auf den ersten Blick unerwartete Ergebnis, lautes Bohrergeräusch habe im Durchschnitt keine Auswirkung auf die Konzentrationsleistung verlangt nach einer plausiblen, nachträglichen Erklärung. Die durchgehende Lärmbeschallung unter Bohrerbedingung war zwar unangenehm, dauerte insgesamt aber im Schnitt kaum mehr als 2,5 Minuten. Der Krach erforderte sicher mehr zusätzliche Anstrengung, die man kurzzeitig aber offenbar aufbringen kann. Die Konzentrationsaufgaben selbst sind kinderleicht, stellen keine besonderen Ansprüche an das Gedächtnis und erfordern keinerlei kognitiv anspruchsvollen Denkleistungen. Jeder gesunde Proband löst derartige Aufgaben nahezu perfekt, wenn ihm genügend Zeit gegeben wird. Im eingesetzten Konzentrationstest ging es darum, so schnell wie möglich, aber dennoch korrekt zu antworten, wobei die Testperson ihr Arbeitstempo selbst bestimmen durfte. Grundsätzlich erfordern Konzentrationsleistungen eine fortwährende  Wahrnehmung der Reizgrundlage und Prüfung auf Zielrelevanz unter Ausschaltung aller sonstigen Störreize. Der Lärm verschlechtert nicht die Wahrnehmung der Reize und wegen der Einfachheit der Aufgaben auch kaum die Prüfung auf Zielrelevanz, sondern lediglich die Befindlichkeit, was sich auf die Dauer natürlich negativ bemerkbar machen kann. Insofern stören Geräusche das konzentrierte Arbeiten, aber nicht zwingend die Konzentrationsleistungen.

Da es sich hier um ein spezielles Laborexperiment handelt, verbietet sich eine Übertragung der Ergebnisse auf die natürliche Umwelt. Dort manifestiert sich Krach in vielfältigen Variationen und nervt den Bürger im mehrfacher Hinsicht. Dabei spielt nicht nur seine Lautstärke eine Rolle, sondern auch die  Geräuschqualität, Lärmdauer, das Überraschungsmoment, die Erwartung seines möglichen Auftretens und die mangelnde Kontrollierbarkeit, ihn auszuschalten oder ihm zu entfliehen. Es bleibt ein erstrebenswertes Ziel und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese akustische Umweltverschmutzung möglichst effizient einzudämmen.


Literatur:  

Brickenkamp, R.  Schmidt-Atzert, L., Liepmann, D. (2010).  d2 –Revision Aufmerksamkeits-und Konzentrationstest - Manual. Hogrefe

Jacobs, B. (2013). Erprobung zweier Online-Konzentrationstests
mit Zahlen an Studierenden des Lehramts.
http://bildungswissenschaften.uni-saarland.de/personal/jacobs/diagnostik/tests/konzentration/konzentrationstests.html

Marschner, G. (1972) Revisions-Test (Rev.T.). Göttingen: Hogrefe.

Westhoff, K. & Hagemeister, C. (2005). Konzentrationsdiagnostik. Pabst, Lengerich.


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